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2008-07-10: "Rotznase mit Kunstverstand" - Tagblatt
Foto von Siggi Bucher
ROTZNASE MIT KUNSTVERSTAND
KURATORIN Zoë Stähli ist die Tochter von « Porno- König » Edi Stöckli. Die 32- Jährige stellt in ihrem eigenen Museum im Niederdorf erotische Kunst aus.
VON JAN STROBEL
Das Porträt: Zoë Stähli
Vom Saal des Kinos Stüssihof dringt ein leises Stöhnen in den Laden, und Zoë Stähli nippt an ihrem Mineralwasser. Noch ist nichts los in Edi’s Weinstube. Die ersten Kunden kommen erst gegen Mittag. Sie werden sich an den Tresen fläzen, Wein degustieren und den Blick über die ungezogenen Bilder schweifen lassen, die hier überall an den Wänden hängen. Denn die Weinstube, das ist nicht nur eine Weinhandlung, sondern das Museum of Porn in Art. Ein Ort der erotischen Kunst, ein Sammelsurium der Feuchtgebiete, das Zoë Stähli hier seit vier Jahren aufgebaut hat. Zutritt ab 18 Jahren. Die Frauen auf den Gemälden und Fotografien kümmern sich wenig um den guten Geschmack. Diese Barbusige zum Beispiel, die mit ihren kirschroten Lippen lustvoll an einer Zigarette saugt. Oder das Serviermädchen, das mit aufreizendem Blick eine Flasche entkorkt. Das sind die harmlosen Exemplare. Doch so billig, wie eine solche Beschreibung daherkommt, sind die Werke nicht. Was hier an den Wänden hängt ist anspruchsvolle Kunst.
Schmuddel und Begierde
Zoë Stähli liebt das Spiel mit dem Ungezogenen. Für die 32-Jährige ist es Teil ihrer Biografie geworden. Sie ist die Tochter von Edi Stöckli, dem «Porno-König» und Inhaber fast aller Sex-Kinos der Schweiz. «Ich bin Tochter von Beruf», sagt Stähli, und der Satz will so gar nicht zu den massiven Lederstiefeln und den Hosenträgern passen, die sie an diesem Vormittag trägt. Die Frau wirkt wie eine Rotznase, die den Spiessern da draussen die Stirn bieten will. Eine Haltung, die ihr schon als kleines Mädchen oft genug geholfen hat. Die Familie Stöckli umwehte eine Verruchtheit, die provozierte, viele auch abstiess. «Manche Kinder in meiner Schule durften nicht mit mir spielen, geschweige denn mich besuchen. » Denn der Stöckli, das war für die besorgten Eltern nur der «Sex-Grüsel». Kaum auszudenken, was in diesem Haus alles passieren konnte. «Wenn mich also einer nach dem Beruf meines Vaters fragte, sagte ich einfach, er sei Steuerberater. » Die Wirklichkeit kam diesem Scherz ziemlich nahe. Denn das Leben bei den Stöcklis war nicht so skandalös, wie es sich die Leute gern vorstellten. Das Geschäft des Vaters spielte sich für die kleine Zoë immer nur am Rand ab. Die Polizeirazzien in den Büros und Kinos waren in der Familie kein Thema. «Trotzdem haben mir meine Eltern nie etwas vorgemacht. Ich war mir bewusst, wie mein Vater sein Geld verdient, und habe ihn verstanden.» Stüssihof, Walche oder Roland, das waren für das Mädchen in den frühen 80er-Jahren Orte, an denen sie nichts verloren hatte. «Ich wusste ja, dass ich da nicht rein durfte.» Für die schummrigen Lichtspielhäuser war es die letzte Blütezeit, bevor die Videos den Markt eroberten. «In den Kinos traf sich damals eine ganze Untergrundbewegung, vom Künstler bis zur Prostituierten », sagt Stähli. Der Name Stöckli versprach das Abtauchen in eine verbotene Welt aus Schmuddel und Begierde.
Die Tochter allerdings ging ihren eigenen Weg. «Ich wollte nie für meinen Vater arbeiten, obwohl ich immer stolz auf ihn war.» Ihr Herz schlug für die Malerei. Also besuchte sie die F + F Schule für Mediendesign und Kunst. Doch Stähli fühlte sich hier schnell wie ein Tier in einem Käfig. Von freier Entfaltung konnte keine Rede sein, und wieder hatte sie gegen Schranken anzukämpfen. Die analytische Abgehobenheit ihrer Dozenten ging ihr auf die Nerven. Der Krach war vorprogrammiert.
Exquisites Lustkabinett
Zoë Stähli setzte auf Provokation. Die Diplomarbeit schrieb sie auf Schweizerdeutsch und stellte eine Installation vor, die in ihrer Grösse alle anderen in den Schatten stellte. Ein riesiger Strudel, der sich gegen die Mitte verdunkelte. Dort stellte sie einen Fernseher hin, der einen Film aus ihrer Kindheit zeigte. Die Dozenten liessen die aufmüpfige Schülerin nur widerwillig bestehen. Stähli nahm sich danach eine Auszeit, kellnerte in Kneipen oder arbeitete als Plakateurin. Es dauerte nicht lange, bis der Vater wieder rief. Der hatte die erotische Kunst für sich entdeckt und zusammen mit Filmproduzent Peter Preissle in Lausanne ein Museum eröffnet. Als das nach wenigen Monaten wieder schloss, wich Stöckli aufs Internet aus. Eine virtuelle Ausstellung brauchte keine Bewilligung. Tochter Zoë kümmerte sich um das Design, warb Künstler an, regelte die Verkäufe. Bald beaufsichtigte sie die stetig wachsende Sammlung. Doch die Bilder sollten nicht einfach in einem Lager vor sich hin altern, sondern in wechselnden Ausstellungen für eine kunstinteressierte Öffentlichkeit zugänglich sein.
Als Edi Stöckli schliesslich in einem leer stehenden Keller in der Stüssihofstatt 14 eine Weinhandlung einrichtete, war der Ort gefunden. Das Museum of Porn in Art fand schnell seine Liebhaber und eroberte sich in der Szene der Erotikkünstler den Ruf eines kleinen, exquisiten Lustkabinetts. «Künstler aus aller Welt stellen hier mittlerweile ihre Arbeiten aus», sagt Zoë Stähli, die jetzt noch einmal die Aufhängung der Bilder kontrolliert. Vor ein paar Monaten hat sie die Zusage von Miron Zownir bekommen, einem Berliner Fotografen, der in den 80er-Jahren mit seinen radikalen Bildern von Schwulen, Prostituierten und Fetischisten für Aufsehen sorgte. Im Oktober wird er in Stählis Museum ausstellen. «Eine grosse Ehre für mich. Ich konnte es kaum glauben.» Denn die Künstler kann die junge Kuratorin nicht bezahlen. Wenn ein Bild verkauft wird, erhalten sie 70 Prozent des Preises, den sie vorher selbst festgelegt haben. Der Rest geht in den Unterhalt des Museums und der Sammlung. Die Käufer sind häufig Paare. «Ab und zu macht dann die Schwiegermutter Probleme», lacht Stähli. Auch Streit habe es in ihrem Museum schon gegeben, weil sich die Ehefrau durch all die wollüstigen Leiber provoziert fühlte. Verklemmt darf der Besucher im Museum of Porn in Art eben nicht sein.
Wenn es Nacht wird in Edi’s Weinstube blicken die Gäste manchmal verstohlen zum Eingang des Kinos, der sich gleich neben den Toiletten befindet. «Geht da mal rein. Das gefällt euch bestimmt», sagt dann Zoë Stähli und öffnet die Tür ins Dunkel.
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